Freitag, 4. Juni 2021

Kloster Großcomburg, Schwäbisch Hall | Allgemeines 9. Juni 1676: Ausweisung der Juden durch die Stiftsherren von Kloster Großcomburg

Am 9. Juni 1676 trafen die Stiftsherren von Kloster Großcomburg eine folgenschwere Entscheidung: Vor 345 Jahren beschloss das Stiftskapitel, alle Juden aus Steinbach, einem Dorf am Fuß der Comburg, auszuweisen. Das jüdische Leben im Ort erlosch – doch nur für wenige Jahre. Deutschlandweit wird in diesem Jahr mit einem großen Jubiläumsprogramm an „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ erinnert. Die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg machen sich auf Spurensuche in den Monumenten des Landes.

JÜDISCHES LEBEN IM SCHATTEN VON KLOSTER GROSSCOMBURG

Der 9. Juni 1676 war ein folgenschwerer Tag für die jüdischen Bewohner von Steinbach. Alle Juden des Dorfs, das damals zum Kloster Großcomburg gehörte, sollten im kommenden Jahr ausgewiesen werden – ein tiefer Einschnitt für die jüdische Geschichte des Orts. Die Stiftsherren beendeten damit die rund 50 Jahre währende jüdische Geschichte in Steinbach. Juden sind seit 1625 im Herrschaftsbereich des Klosters belegt. Um 1643 gab es bereits sechs jüdische Familien im Ort, die als Viehhändler arbeiteten. Bei ihnen handelte es sich – wie damals üblich – um „Schutzjuden“. Sie wurden anders als die christlichen Untertanen behandelt: Sie mussten eine Aufnahmegebühr zahlen und jährlich ein Schutzgeld entrichten.

 

DER BESCHLUSS DES STIFTSKAPITELS

Was die Stiftsherren am 9. Juni 1676 zu ihrem Beschluss brachte, ist nicht geklärt. Bereits 1673 versuchten sie, den Schutz der Juden unter ihrer Herrschaft nicht weiter zu verlängern. Durch eine Sonderzahlung verschafften sich die sechs jüdischen Familien einen Aufschub. Doch nur drei Jahre später wurde das Thema wieder diskutiert. Das Protokoll des Stifts berichtet von der Sitzung am 9. Juni 1676: Man hatte sich „dahin vereinbahrt, daß denen sambtlichen Juden zu Steinbach solle bedeutet werden, daß nach Ausgang ihres jetzt habenden Schutzes keiner mehr werde geduldet werden, so ihnen zur Nachricht darum zu wissen gemacht werde, damit sie zeitlich ihre Häuser verkaufen und an andern Orten umb Underkommen sich bewerben mögen, doch solle hiervon zuvor ihre hochwohlgeborene und gnedige Herrn Domdechant und Herrn Landwehren als hiesigen Capitularherren zu Würzburg communication gettan werden und als dann die Ufkündigung gegen die Juden vorgenommen werden.“

                           

ENDE DES JÜDSICHEN LEBENS …

Am 22. Juni wurden die Juden zu Steinbach schließlich mit der Entscheidung des Stifts konfrontiert. Im nächsten Jahr sollten sie den Ort verlassen – selbst wenn sie ihre Häuser bis dahin nicht verkauft haben sollten. Doch die Chorherren zeigten etwas Nachsicht: Als einzelne jüdische Untertanen 1677 keinen neuen Schutz gefunden hatten, wurden sie noch etwas länger geduldet. Schließlich verließen jedoch alle Juden, obwohl sechs Häuser nicht verkauft worden waren, das Dorf Steinbach unterhalb der mächtigen Comburg.

 

… UND EIN NEUANFANG

Trotz der obrigkeitlichen Ausweisung wurden die Steinbacher Juden nicht in die Rechtlosigkeit entlassen. Das zeigte das weitere Handeln des Stiftskapitels: Es gewährte seine ehemaligen „Schutzjuden“ rechtlichen Beistand. Mancher christliche Steinbacher glaubte nämlich, dass er mit der Vertreibung der Juden auch seine Schulden bei ihnen losgeworden sei. Jedoch pochte das Stift darauf, dass diese bedient werden sollten. Die Ausweisung hatte zur Folge, dass fast eine Generation lang keine Juden mehr im Herrschaftsbereich der Stiftsherren lebten. Doch um 1700 änderte sich die Einstellung des Stifts. Das jüdische Leben kehrte allmählich nach Steinbach zurück: Um 1800 lebten rund 13 jüdische Familien dort. Im Jahr 1847 werden in der „Beschreibung des Oberamts Hall“ in Steinbach 1068 Einwohner genannt, davon 90 Juden.

 

900-JÄHRIGE GESCHICHTE DES KLOSTERS IM KOCHERTAL

1078 übergab Graf Burkhardt II. von Rotenburg-Comburg die Stammburg seiner Familie dem Benediktinerorden. Aus der Burg wurde ein Kloster – der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Viele Stiftungen machten das Kloster reich. Vom Reichtum der Benediktiner zeugt der berühmte Radleuchter und das Antependium. Bald begannen jedoch finanzielle Schwierigkeiten. 1488 wurde die Comburg in ein Chorherrenstift umgewandelt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Chorherrenstift aufgehoben, das Kloster fiel an König Friedrich I. von Württemberg. Prinz Paul von Württemberg bezog hier kurze Zeit seine Residenz. Von 1817 bis 1909 übernahm das Württembergische Ehreninvalidencorps die Anlage. Danach wurde aus der Comburg ein Ort der Bildung: Nach dem Ersten Weltkrieg durch die „Heimvolkshochschule“, nach dem Zweiten Weltkrieg die Landesakademie zur Fortbildung für Lehrinnen und Lehrer.

 

1700 JAHRE JÜDISCHES LEBEN IN DEUTSCHLAND

Im Jahr 2021 kann jüdisches Leben in Deutschland auf eine 1700-jährige Geschichte zurückblicken, die im Rahmen eines bundesweiten Themenjahres mit zahlreichen Veranstaltungen beleuchtet werden soll. In einem Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 findet sich die erste Erwähnung von Juden, die im Gebiet des heutigen Deutschlands leben, in der damaligen römischen Stadt Köln. Es gilt als ältester Beleg jüdischen Lebens in Europa nördlich der Alpen. Zahlreiche Monumente in Baden-Württemberg bieten Gelegenheit dazu, sich auf Spurensuche von 1700 Jahren gemeinsamer Geschichte zu begeben.

 

SERVICE

Zurzeit ist das Kloster Großcomburg geschlossen. Alle aktuellen Informationen über Öffnungszeiten sind auf der Webseite www.kloster-grosscomburg.de zu finden.

 

Die Öffnung der Monumente für den Publikumsverkehr ist abhängig von der amtlich festgestellten Sieben-Tage-Inzidenz des jeweiligen Land- bzw. Stadtkreises. Auch wenn ein Monument geöffnet ist, gelten abhängig von der amtlich feststellen Sieben-Tage-Inzidenz unterschiedliche Voraussetzungen für einen Besuch. Bitte beachten Sie daher die für das Monument geltenden Öffnungszeiten und Voraussetzungen auf der Webseite der Staatlichen Schlösser und Gärten.

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