AUS DEM LEBEN MARIENS
Der Flügelaltar im Kloster Alpirsbach zeigt im geöffneten Zustand Szenen aus Marias Leben. Die Verkündigung ist auf der linken Innentafel zu sehen. Maria wird betend dargestellt: Auf dem Tisch vor ihr liegt ein offenes Buch. Über ihr, unterhalb des Türbogens, schwebt die Taube als Symbol des Heiligen Geistes. „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden“, heißt es im Lukasevangelium (Lukas 1,35). Vom Betrachter aus linksstehend, verkündet der Engel Gabriel die frohe Botschaft. Zwischen ihm und Maria steht eine Vase mit Blumen: Lilien als Symbol der Keuschheit.
BELIEBTES MOTIV IN DER BILDKUNST
In der Bildenden Kunst ist die Verkündigungsszene ein beliebtes Motiv, die Ausführungen greifen jedoch unterschiedliche Aspekte oder Momente der Begegnung Marias mit dem Erzengel Gabriel auf. Üblicherweise wurde sie mit dem Engel im Innenraum eines Hauses – in einer Stube oder in ihrem Schlafzimmer – dargestellt, vermutlich als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit, in Anlehnung an den „hortus conclusus“, einen von Mauern umgebenen Garten. Marias Tätigkeiten variieren in den Darstellungen: Mal hält sie eine Spindel mit purpurrotem Garn, mal schöpft sie Wasser aus einem Brunnen. Auch als Betende wurde sie gemalt, meist kniend vor einem Betpult, ein aufgeschlagenes Buch vor sich. Damit stellten die Künstler eine Verbindung zum Alten Testament her: zur Ankündigung des Messias beim Propheten Jesaja ‒ „Seht, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären ...“ (Jesaja 7,14).
GEMALT IN BRAUNTÖNEN
Die Gemälde sind in Brauntönen mit weißen Akzenten gehalten: Sie fügen sich ins feine Gesamtbild des geschnitzten Altarschreins. Von wem die Gemälde des Alpirsbacher Marienaltars stammen, ist unbekannt. Die hohe Qualität der Malereien spricht für einen versierten Künstler. Die Darstellungen wurden als schwach konturierte Kohlezeichnung aufgebracht, in brauner Farbe ausgemalt und mit Weißhöhungen – Hervorhebungen – versehen. Um 1500 entstanden im südwestdeutschen Raum häufig Altäre, die bewusst auf eine farbige Bemalung verzichteten. Die hölzernen Figuren und Oberflächen wurden mit farblosem Leim überzogen. Nur wenige Details wie das Gesicht oder die Ornamente an den Kleidersäumen erhielten farbige Akzente. Diese Altäre stehen für ein neues Verständnis von Ästhetik. Die materielle Zurückhaltung entsprach zudem einer Art Reformbewegung, die der Prunksucht in den Kirchen entgegentreten wollte.
HERAUSRAGENDER ALTAR AUS DER WECKMANN-WERKSTATT
Geschaffen wurde der Altar um 1520 bis 1525 von dem Ulmer Bildschnitzer Nikolaus Weckmann. Er arbeitete nachweislich mit den berühmtesten Ulmer Malern zusammen, die Gemälde für die Altäre lieferten, die Weckmann mit Skulpturen schmückte. Der Ruhm des Meisters strahlte zu seinen Lebzeiten weit über die Stadtgrenzen hinaus. Er unterhielt eine große Werkstatt mit zahlreichen Lehrlingen und Gehilfen, mit denen er Meisterwerke massenhaft produzierte. Der Marienaltar kam erst kurz vor dem Ende der Klosterzeit in die Kirche: Der württembergische Herzog Ulrich führte damals die Reformation in seinem Land ein und löste im Jahr 1535 alle Klöster auf. Dass sich der spätgotische Altarschrein in Alpirsbach bis heute erhalten hat, ist vermutlich dem Umstand zu verdanken, dass Maria als Mutter Jesu auch den evangelischen Gläubigen nahestand.
HISTORISCHER STANDORT UNBEKANNT
Der Marienaltar steht heute im nördlichen Querschiff der Klosterkirche, was sehr wahrscheinlich nicht der ursprüngliche Standort war. Man nahm an, dass der Flügelaltar mit dem Bildprogramm zu Marias Leben in der Marienkapelle gestanden haben musste. Die Kapelle wurde im 16. Jahrhundert errichtet und im 19. Jahrhundert abgebrochen. Wegen der Maßverhältnisse des Altars, vor allem wegen des in die Höhe strebenden Aufsatzes, hält man das für unwahrscheinlich.
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